Assistentinnen sind das Schmieröl in der Büro-Maschinerie. Ohne sie läuft wenig bis nichts in den Führungsetagen. Und viele Vorgesetzte wären hoffnungslos überfordert, wenn sie auf ihre Büro-Assistenz verzichten müssten.
Brigitte Scherrer, eine promovierte Medienwissenschaftlerin, hat sich dem täglichen Kampf der Assistentinnen gewidmet und darüber ein Buch geschrieben, das mit vollständigem Titel “Das brauche ich bis vorgestern! Aus dem Leben einer Assistentin” heißt. Auf 212 kurzweiligen Seiten werden die Schokoladen- und Schattenseiten der emsigen Damen in den Büros unseres Landes beschrieben.
Schnappschüsse aus dem Leben einer Assistentin
Das Taschenbuch beginnt mit dem Schluss der Geschichte. Die namenlose Protagonistin leitet das erste Kapitel mit einer Rückblende auf vier Jahre bei der fiktiven Alpha Prime GmbH ein. Ich erfahre von ihrem Vorstellungsgespräch inklusive Koffein-Rausch und Frühstücks-Overkill und lese in Tagebuchform von ihren ersten Schritten in dem neuen Unternehmen. Interessiert stelle ich beim Lesen fest, dass ich schon bald in den Schilderungen viele Parallelen zu meinem Arbeitsleben erkennen kann.
Schon in den ersten Wochen und Monaten startet die Assistentin beruflich durch und hat ihre Assistenz – und ihren Vorgesetzten – bestens im Griff.
Die Tagebucheinträge bestechen durch ihren Biss und ihren Sarkasmus, wenn Situationen im Büro geschildert werden. Besonders die Bezeichnung der Chefs als “Sozial-Autisten” ist in meinen Augen eine der pointiertesten Bezeichnungen einer Spezies, die oftmals nur mit dem Kopf und selten mit dem Herz agiert.
Die Hauptperson des Buches lernt rasch, welche Macht der Flurfunk entwickeln kann und wie dieser möglichst gewinnbringend eingesetzt wird. Außerdem wird ihr klar, dass Lügen und “etwas anders interpretieren” zwei Paar Schuhe sind.
Bis zum Ende des dritten Kapitels und damit mehr als drei Viertel des Buches verläuft der Aufstieg ihres Vorgesetzten Jochen Christensen linear mit der beruflichen Entwicklung seiner Assistentin. Doch dann wendet sich das Blatt. Mit der Einstellung neuer Mitarbeiter mutiert Christensen zur echten Führungskraft mit Personalverantwortung – und wird noch oberflächlicher und hat noch weniger Zeit für die Führung seiner Angestellten. Er beginnt sich zu verzetteln, ist nicht mehr greifbar für Kollegen und Mitarbeiter und das Unheil nimmt seinen Lauf.
Ein Happy End hat “Das brauche ich bis vorgestern” nicht. Am Ende scheitert Jochen Christensen an einer verpassten Aufstiegschance. Und damit ist auch die berufliche Karriere seiner Assistentin beendet – oder vielleicht doch nicht?
Skurille Szenen und der Hang zur Übertreibung
Einige Szenen in dem Tagebuch sind für meinen Geschmack ein wenig zu deutlich überzeichnet – zum Beispiel, wenn die Assistentin dafür verantwortlich gemacht wird, dass der Chef endlich seinen zweistelligen Resturlaub nimmt. Ebenso stark überzeichnet wird auch ihr Beschaffen der Spesenbelege des gesamten Jahres. Es wird das Bild vermittelt, dass Vorgesetzte wie kleine Jungs agieren und alles tun – nur nicht das, was ihnen gesagt wird. Vielleicht ist das in vielen Firmen wirklich so – oder ich schließe von mir falsch auf andere.
Völlig unglaubwürdig wird das Buch auf den letzten dreißig Seiten, als die Schokoladensucht der Protagonistin genüßlich beschrieben wird und sie anscheinend kurz vor dem Durchdrehen ist. Das gipfelt darin, dass die Assistentin vor lauter Heulerei die Nase in der Krawatte des Chefs (!) schneuzt. Satire hin oder her – das ist für meinen Geschmack arg übertrieben. Vielleicht wendet Autorin Brigitte Scherer auch einfach nur das Stilmittel der Übertreibung gekonnt an.
Mein Fazit
Das Buch aus dem Redline Verlag hat mir viel Lesevergnügen bereitet. Es bietet einen amüsanten und augenzwinkernden Einblick in den Büro-Dschungel und zeigt deutlich das tägliche Leiden der Assistentinnen, die zum einen mit den Marotten und Unzuverlässigkeiten ihrer Vorgesetzten klarkommen müssen und zum anderen dafür Sorge tragen, dass ihr Chef immer im guten Licht da steht – bis zur eigenen Aufopferung.
Messerscharf analysiert und charakterisiert Brigitte Scherer die Führungsstile: da gibt es den Geschäftsführer, der nicht entscheiden will, den Abteilungsleiter, der nach oben strebt und dabei gegen Konventionen verstößt, und den Leiter Recht, der immer den Weg des geringsten Widerstands geht und mahnend den Zeigefinger hebt, wenn es um die Etablierung neuer Produkte geht. Nicht wenigen wird das bekannt vorkommen.
19. Juli 2011 um 19:31
Das Buch hört sich echt interessant an. Werde es mir auf jeden Fall mal vormerken. Vielleicht bekomme ich ja mal die Gelegenheit es zu lesen.