Gestern sind zwei Ereignisse unabhängig voneinander geschehen, die mich nachhaltig nachdenklich gemacht haben. Beide Ereignisse haben mir gezeigt, wie wichtig es ist, dass Leben jetzt und hier zu genießen.
Zum einen habe ich erfahren, dass die Seniorchefin des Landgasthofes in meinem Heimatdorf am Montag im Alter von 82 Jahren verstorben ist. Na und, werden nicht wenige einwenden. Aber es ist anders. Es ist mehr. Mit dem Tod von Tante H. ist ein Teil meiner Kindheit gestorben.
Für sie war ich immer – auch weit nach meiner nachweislichen Volljährigkeit – der kleine Marc, der mit seinem Opa Karl-Heinz (der viel zu früh im Alter von gerade 53 Jahren verstorben ist – ich war damals vier und mein Bruder gerade geboren) in der Gaststätte bei ihr war und Mettbrötchen gegessen hat.
Ich habe in dem Lokal meine Taufe zelebriert und meine eigene Hochzeit gefeiert. Meine beiden Söhne haben ihre Taufe nach der Kirche auch dort gefeiert. Als wir das vorletzte Mal im April in Amelunxen waren, war ich mit Anne und Luke in der Gaststätte und wir haben ein Eis gegessen und mit Tante H. geplauscht. Niemals hätte ich erwartet, dass es das letzte Mal gewesen sein könnte. Nun ist sie tot. Und mit ihr ein Stück meiner Kindheit.
Zum anderen ist mir heute bewusst geworden, dass es einem Twitterkontakt und Bekannten von mir ganz schlecht geht. Seine Tweets der letzten 16 Tage lassen das Schlimmste erahnen. Es ist die Rede von Blutuntersuchungen, CT und der Entscheidung “Chemo ja oder nein”. Es geht um den Menschen, mit dem ich erst kürzlich in der S-Bahn gefahren bin und mich unterhalten habe. Alles schien perfekt.
Ein Mann, der eine nette Frau hat, der Vater zweier kleiner Kinder ist. Und immer steht die unausgesprochene Frage im Raum: Warum? Warum er? Wieso? Was hat er getan? Und je länger ich darüber nachdenke, umso weniger finde ich Erklärungsansätze für meine Frage. Denn es gibt keine Antwort. Es liegt nicht in unseren Händen.
Und ich fange an zu grübeln. Und denke nach. Wie gehe ich mit meinem Leben um? Was ist mir wichtig? Wieviel Liebe gebe ich? Wie sehr weiß ich zu schätzen, was mir dieses eine Leben schenkt? Wie wertvoll das Leben ist. Und wie oft ich das Leben nicht wertschätze und wie blind durch den Alltag hetze – auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Aber es ist ganz leicht. Der Sinn des Lebens ist das Leben. So einfach ist das.
Wie käme ich mit der Situation klar, wenn ich an Stelle meines Bekannten wäre? Von heute auf morgen ist Dein ganzes Leben auf den Kopf gestellt. Und nicht nur Dein eigenes. Auch das Deiner Familie. Wer kümmert sich um die Kinder? Wie sieht es beim Finanziellen aus? Am Ende reduziert sich aber alles auf eine einzige Frage: werde ich den morgigen Tag erleben? Sehe ich meine beiden wunderbaren Söhne, die schon mal nerven, von denen ich aber weiß, dass ich sie mehr liebe als mein Leben. Und sie aufwachsen sehen möchte. Mit ihnen lachen und weinen möchte.
Also lebe ich ab sofort intensiver, lebe ich bewusster. Und nicht erst morgen. Sondern gleich heute. Verabschiede mich jeden Morgen bewusst und zugeneigt von meiner Frau. Herze die Kinder, ehe es zum Bahnhof geht. Lebe bewusst und intensiv – immer in dem Wissen, dass das Leben ein Geschenk ist.
Scheiß’ auf den gefüllten Feedreader, der gelesen werden will. Ignoriere die Twitter-Meldungen und die Status-Updates von Facebook. Das Leben findet draußen statt, jetzt und hier.
Genieße das Leben – solange Du kannst. Morgen kann es schon vorüber sein.
27. Juli 2011 um 08:27
Ich bin gerade total ergriffen, mir stehen die Tränen in den Augen, weiß gar nicht so recht was ich sagen soll.
Danke für diesen herzergreifenden und nachdenklichen Artikel!
27. Juli 2011 um 09:09
Wahre Worte… dem kann ich nichts zufügen.
27. Juli 2011 um 22:57
Tja, …
es gibt Wegpunkte im Leben, da wird einem so etwas bewusst.
Pingback: Ernster Ton in der Blogosphäre | Uli's Welt
2. August 2011 um 16:37
Hej!
“Schöner” Blogpost. Bin ich jetzt erst drauf gestoßen, da der Feedreader aus bekannten Gründen eine Zeit lang aus war….
Hättest mich auch ruhig verlinken können, meine Tweets sind öffentlich, aber danke, dass Du die Privatsphäre gewahrt hast – jetzt habe ich mich halt selber geoutet.
Wie gesagt werde ich mich zu gegebener Zeit selber noch ausführlicher äußern, momentan ist noch zu viel in der Schwebe, dem ich nicht vorgreifen möchte. Ein wenig Entwarnung kann ich dennoch geben – hört sich alles wahrscheinlich schlimmer an als es ist.
2. August 2011 um 18:32
Ups, ich bin erwischt worden 😉
Und ich freue mich, dass Du Dich gemeldet hast. Toi, toi, toi.