Es gibt viele Bücher über die Volksdroge Alkohol. Bei vielen handelt es sich um Erfahrungsberichte (ehemals) Alkoholkranker. Leider viel zu selten wird hinter die Kulissen geblickt.
Autor Detlef Vetten beschreitet mit seinem Buch “50 Tage lebenslänglich: Meine Erlebnisse in der geschlossenen Psychiatrie” einen anderen literarischen Weg. Er stellt nicht sein Schicksal und sich in den Mittelpunkt (ganz im Gegenteil!), sondern berichtet von den Leidensgenossen, die nach seiner Einweisung in die – wie er es nennt – “Klapse” in München-Haar gebracht werden und beleuchtet ihren alkoholischen sowie therapeutischen Werdegang.
Detlef V. erzählt die Geschichte der Patienten intensiv und detailliert, der Klinikalltag wird eher nur beiläufig erwähnt. Der Blick hinter die Fassade der vermeintlich klinisch sauberen Krankenhäuser und in die Gemüter ihrer Bewohner ist eindringlich und beängstigend beschrieben. Die Patienten in der Psychatrie bilden einen Querschnitt unserer Gesellschaft.
Sei es die alte Dame, die nach mehreren Schicksalsschlägen nur noch spendenden Trost im Alkohol findet oder der früher erfolgreiche Eishockeyspieler, der sein Leben auf der Überholspur gegen ein Krankenbett und den Alkoholentzug eingetauscht hat. Oder das junge Mädchen, das sich ritzt und ein krasser Gegenentwurf zu dem erfolgreichen Manager ist, der zu Beginn seiner alkoholischen Eskapaden nie wochentags, sondern nur am Wochenende trank und dabei mit einer Frau liiert war, die ihn fast das Leben gekostet hat.
Während viele Lebensgeschichten dramatisch, ungeschminkt drastisch und ohne Hoffnung enden, hat Herr V. die 50 Tage lebenslänglich überlebt. Wie sein Leben, das in Trümmern vor ihm liegt, weitergeht, bleibt offen und lässt den Leser nachdenklich zurück.
Am Ende der Lesereise durch die Klinik stellt sich die Frage: wer muss behandelt werden? Die Patienten in der Klinik oder “wir anderen” draußen vor den Toren der Klinik als vermeintlich Gesunde, die oft genug zu “Co-Alkoholikern” mutieren, indem wir offensichtlich Alkoholkranke ihrem Schicksal überlassen und außer Nase rümpfen nichts für sie übrig haben.
Mein Fazit
Mich hat “50 Tage lebenslänglich” sehr berührt und gefesselt. Ich gehe nach der Lektüre des Buches wachsamer durch die Welt. Ich schaue den betrunkenen Mann, der nahe des Hauptbahnhofes am Boden liegt, mit anderen Augen an. Ich bin nachdenklicher geworden, was meinen eigenen Alkoholkonsum angeht. Denn wir dürfen nicht vergessen: Die Volksdroge Alkohol ist omnipräsent und es kann jeden von uns treffen.
Meine Wertschätzung und Anerkennung gegenüber dem Pflegepersonal ist nach dem Lesen des Buches nochmals gewachsen. Es ist unglaublich, mit welcher Hingabe und Liebe – sofern dieser Begriff in diesem Kontext angemessen ist – die Pfleger mit ihren Patienten umgehen, sich um sie kümmern und in ihnen den Menschen und nicht nur eine Nummer und ein Abwicklungsprodukt sehen.