Meine Söhne im Alter von vier und acht Jahren kennen Langspielplatten nur als Dachbodenfund. Sie wundern sich über das Kassettenrack im Auto ihres Großvaters. Videokassetten lassen sie zweifelnd fragen: “Was ist das?” Analoge Unterhaltungsprodukte machen die beiden Kids im Kindergarten- und Grundschulalter stutzig.
Stattdessen können sie spielend mit der Nintendo Wii umgehen, gleiten virtuos über das iPad und haben keine Probleme, das Internet-Radio zu bedienen. Der Große bedient den Sky-Receiver mit Sky anytime ohne Probleme und fegt förmlich durch die Menüs.
Sie sind der Prototyp der “Netzgeneration” und wachsen mit Computer, Smartphone, Tablet-Computer und Internet auf. Eine Zeit vor iPod, iPhone und iPad kennen sie nicht.
Damit zählen meine beiden Söhne zu der digitalen Generation und damit zu der Gruppe von jungen Menschen, denen Hannah Pilarczyk ein ganzes Buch gewidmet hat: “Sie nennen es Leben“. Als Untertitel fragt Pilarczyk provokativ: Werden wir von der digitalen Generation abgehängt? und möchte gleichzeitig mit dem Mythos der “digital natives”, der digitalen Eingeborenen aufräumen. Denn für die heutige Generation der jungen Menschen ist das Internet elementarer Bestandteil der Mediennutzung geworden.
Als Vater von zwei Jungs im Alter von vier und acht Jahren beobachte ich auch den spielerisch und ungezwungenen Umgang mit dem Medium Internet. Der Jüngste konnte innerhalb kürzester Zeit mit dem iPad umgehen und die für ihn interessanten Apps auswählen und bedienen. Das gleiche gilt für den Großen, der neben der iPad-Nutzung auch bereits erste Online-Erfahrung am PC gesammelt hat und dort im multiple-choice-Verfahren Eingaben bei Antolin, einem Leseclub-ähnlichen Portal, erledigt oder Online-Spiele auf lego.com und playmobil.de absolviert.
Pilarczyk kritisiert, dass die Jugendlichen das Potenzial des Internets nicht ausnutzen und monothematisch unterwegs sind: ein bis zwei soziale Netzwerke hier, ein wenig Online-Shopping da. Dabei gilt es online wie offline, über die Grenzen des sozialen Umfeld hinaus zu schauen.
“Ohne Risiken sind die Chancen, die das Internet bietet, nicht zu haben.”, bringt die Autorin das Wesentliche auf den Punkt. Erwachsene müssen sich nicht davor fürchten, dass ihre Kinder unvorstellbaren Risiken und Gefahren ausgesetzt sind. Sie müssen lernen, ihren Kindern zu vertrauen und dabei helfen, die Medienkompetenz und den kritischen Umgang mit dem Medium Internet zu stärken und weiter auszubauen. Verbote sind dabei der gänzlich falsche Weg. Das Vertrauen in die eigenen Sprößlinge und das Wissen um ihre täglich wachsende Selbständigkeit in den Weiten des digitalen Netzes ist der Schlüssel, der die digitale Generation erfolgreich macht.
An einigen Stellen ist “Wir nenen es Leben” Opfer seines eigenen Themas (die Schnelllebigkeit des Netzes) geworden. In einem Kapitel wird ausführlich über das soziale Netzwerk SchülerVZ berichtet, das im Herbst 2010 noch bedeutsamer war als ein dreiviertel Jahr später, als eine Massenwanderung von StudiVZ und SchülerVZ zum größten sozialen Netzwerk Facebook stattgefunden hat und die deutschen Netzwerke in Richtung Bedeutungslosigkeit versinken ließ.
Mein Fazit
Meine Jungs sind mit dem Medium Internet aufgewachsen, es ist Teil ihres Alltags geworden – gewollt oder ungewollt. Mir persönlich ist es wichtig, diese Medienkompetenz der Sprößlinge zu fördern und sie mit der Nutzung vertraut zu machen. Hannah Pilarczyk arbeitet in “Sie nennen es Leben” heraus, dass das genau der richtige Weg ist.
Aufgabe unserer Generation ist es, den Kindern Medienkompetenz beizubringen und das Internet zu erklären. Dass meine Söhne in Sachen Internetnutzung und der Bedienung von Smartphone & Co. vielleicht einmal überlegen sein werden, liegt in der Natur der Sache. Ich konnte in den Achtzigern beispielsweise spielend leicht mit dem VHS-Videorekorder umgehen, während meine Mum an den zahlreichen Tasten und Menüs schier verzweifelt ist. Geschichte wiederholt sich.
Die Autorin erläutert die permanente Bewegung im Internet, erklärt die Mediennutzung der Jugendlichen unserer Zeit und verdeutlicht die Zusammenhänge. Regelmäßige Ausflüge in die Soziologie und Pädagogik spannen den Wissensbogen weit, so dass der Leser am Ende des Buches bestens informiert ist und einordnen kann, ob die “Netzgeneration” uns abhängen wird.