Der österreichische Schriftsteller Peter Redvoort, im übrigen ein studierter Soziologe, behandelt das Thema Pornografie und Männer in dem Buch “Pornos machen traurig“. Angeregt (sic!) von dem interessanten Titel habe ich mir das Büchlein näher angeschaut.
Barely legal, MILF und Doggystyle
Jedes Kapitel ist mit Fachtermini aus der Pornobranche überschrieben. Da geht es um barely legal, MILFs, face fucking, housewives, Gangbang und andere speziele Spielarten der zumeist männlichen erotischen Fantasien. Dass diese Begriffe oftmals ins Hardcore – Genre abdriften, ist durchaus gewollt – schließlich macht dieser Part den Löwenanteil der europäischen und US-amerikanischen Beischlaf-Industrie aus.
Der Autor beleuchtet das Thema Pornografie nicht aus der kommerziellen Sicht, sondern schaut sozialpädagogisch auf die Rein-raus-Filme:
Wieso schauen Männer Pornos? Handelt es sich dabei um die reine Lustbefriedigung oder steckt mehr dahinter? Geht es um das Ausspielen von männlicher Macht über frivole Frauen, die in den Clips primär thematisiert wird? Ist es die Sehnsucht nach Dominanz, die im Privat- und Berufsleben nicht gegeben ist und den Kick gibt?
Redvoort stellt auch die Frage, wie unsere Kinder in der heutigen Zeit mit dem Thema Porno und Sexualität aufwachsen. Laufen unsere Jugendlichen Gefahr, zu vereinsamen, weil die Mädchen ihrer Altersklasse mit 14 Jahren nicht bereit sind, Pornohandlungen mit ihrem Freund zu vollziehen? Kann es richtig sein, dass Kids haufenweise nackte Frauen – inklusive aller Details ihrer primären Geschleichtsmerkmale – im Internet gesehen haben, ohne jemals ein gleichaltriges Mädchen geküsst zu haben?
Auch die Werbeindustrie wird an den Pranger gestellt. Durch das Glorifizieren eines makellosen Schönheitsideals der Frau – das schon allein deshalb zum pornösen Kopfkino stimuliert – ist die Marketingbranche die Vorstufe zur Pornoisierung der Gesellschaft.
Wieso machen Pornos traurig?
Der ungewöhnliche Titel des Buches wird nach zwei Dritteln Lektüre erklärt. Der Autor führt aus, dass Pornos Männern eine perfekte Welt vorgauckeln, die es nicht gibt: die willige, immer zum Sex bereite dralle Blonde genauso wenig wie den ewig spitzen Mann, der von jetzt auf gleich sexgeil ist. Männer machen dann den Fehler, ihre Freundin oder Ehefrau mit dem idealisierten Porno-Bild zu vergleichen, um festzustellen, dass die Brüste der eigenen Lebensgefährtin kleiner, der eigene Sexdrang geringer und die Gesamtsituation deutlich langweiliger als bei den erotischen Clips ist.
Das eigentliche Buch endet nach 120 Seiten mit einem Plädoyer gegen die virtuellen Welten. Und damit meint der Schriftsteller nicht nur den virtuellen Sex im Internet bzw. vor dem Monitor, sondern prangert gleichzeitig auch die Ego-Shooter und Killerspiele an.
Sammelsurium der Pornobranche als Dessert
Anschließend folgen drei Abschnitte, die eher statistischen und deklaratorischen Zwecken dienen. In “Die Porno Regale” werden sämtliche Kategorien der Porno-Clips von A bis Z aufgelistet. Die Rubrik “Webseiten-Namen” ist selbsterklärend und gibt Porno-technisch Unerfahrenen eine Navigationshilfe durch die sexuellen und pornösen Seiten des Internets, indem zahlreiche Links zu Sex-Seiten aufgelistet sind – allerdings nicht mit der Original-URL, sondern mit der deutschen Übersetzung. Abschließend folgt eine alphabetische Auflistung der Porno-Starlets und Stars von A wie Amber Lynn über L wie Lucy Lee bis zu S wie Sylvia Saint und V wie Vicky Vette.
Mein Fazit
Das Buch “Pornos machen traurig“, das in Eigenregie über Books on Demand vertrieben wird, erweckt den Eindruck, es handele sich um eine autobiographische Erzählung. Redvoort problematisiert seinen Porno-Konsum, indem er die unterschiedlichen Penetrationsarten genauso schildert wie die weiteren sexuellen Spielarten. Mehr aber auch nicht.
Und da liegt auch das Problem. Nach dem Lesen aller Kapitel habe ich mich gefragt, welchen Mehrwert das Buch bietet und welche neuen Erkenntnisse ich gewonnen habe. Mir war vorher schon nicht unbekannt, dass die Werbung sexualisiert und Frauen erniedrigt. Dies aber als Vorstufe der Pornoisierung der Gesellschaft zu sehen, ist starker Tobak.
Aus diesem Grund ordne ich das Buch auch nicht als männliches Gegenstück zu Charlotte Roches “Feuchtgebiete” oder Sonia Rossis “Fucking Berlin” ein, weil diese Belletristik deutlich tiefer autobiographisch sind.
16. April 2012 um 20:00
Eine differenzierte Kritik – gratuliere. Mir als Frau hat an dem Buch gefallen, dass überhaupt einmal ein Mann einen selbstkritischen Blick wagt – denn so etwas gab es bisher noch nicht, denke ich? Ich fand einige Parallelen zu Adiadne von Schirach´s Buch “Der Tanz um die Lust” – die anderen genannten Bücher hab ich nicht gelesen.
Ich kann´s Frauen unbedingt weiterempfehlen.
N.T.