Manchen Menschen wird nicht umsonst nachgesagt, dass sie zu ihrem Smartphone eine innigere Beziehung als zu ihrem Lebenspartner führen.
Das Mobiltelefon ist das erste am Morgen, das angefasst wird und abends meist das letzte, das vor dem Schlafen gehen berührt wird. Das Smartphone und der Nutzer sind eine Symbiose eingegangen, die intimer nicht sein kann.
Um diese Beziehung – und von noch viel mehr – handelt LG;-) – Wie wir vor lauter Kommunizieren unser Leben verpassen von Nina Pauer. Eingebettet in drei Lebensgeschichten von Ulla, Anna und Markus wird der Alltag von drei Menschen beschrieben, in dem der reale mit dem digitalen Alltag mehr oder weniger stark verschmilzt oder sogar bestimmt wird. Dazu wird das Smartphone mit einem Tamagotchi verglichen, das täglich gehegt und gepflegt werden will und ständig Aufmerksamkeit einfordert. Doch das Buch ist viel mehr. Es beschreibt den Pulsschlag der “Generation always on”, der auf 250 Seiten beschrieben und analysiert wird.
Im Laufe des Buches verbinden sich die Lebenswege der Protagonisten mehr oder weniger stark zu einem Gesamtbild, das die unterschiedlichen Ausprägungen unserer Kommunikationskultur darstellen. Neben den hektisch im Leben stehenden Multi-Channel – Kommunikationskünstlern und dem von der Schnelligkeit der zahlreichen exzessiven Beschleunigung ermüdeten Burn Out-Patienten gibt es die ältere Generation, die von dem Nachrichtenstrom bewusst oder unbewusst abgehangen ist und ihren Platz in der schönen (?) neuen Welt noch sucht.
Die Mutter von Anna, Ulla, ist der Gegenpol zu der digitalen Hektik der beiden Protagonisten. Sie fürchtet sich vielmehr vor der mit der Rente eingetretenen Stille. Anna hingegen ist förmlich gefangen im Hamsterrad der 24/7-Kommunikationskette, die aus allen Kanälen auf sie feuert und sie nicht zur Ruhe kommen lässt. Ruhe findet sie erst, wenn sie ihr Smartphone in den Flugmodus stellt und das WLAN daheim ausschaltet.
Markus hingegen hat seine erste Burn Out – Erkrankung bereits hinter sich und versucht vergeblich, den Mittelweg zwischen der idyllischen Stille im Urlaub an der Nordsee mit der Familie und dem stetig hektischen und stetig forderndem Arbeitsleben als Geschäftsführer einer Agentur zu finden. Statt Entschleunigung führt sein Leben immer mehr zu einer Beschleunigung und trotz Therapie nisten sich die bösen Geister der ständigen Erreichbarkeit immer wieder in sein Leben ein.
Nina Pauer versucht zu ergründen, wann wir uns in die digitale Abhängigkeit von Facebook, Twitter, E-Mails, SMS und Co. begeben haben und wieso es uns so schwer fällt, davon loszulassen. Sie erläutert, dass der Freundeskreis nicht mehr aus einer Handvoll wahren Freunden im echten Leben besteht, sondern dank sozialer Medien aus mehreren hundert digitaler Freunden besteht, an deren Leben wir dank Facebook-Newsfeed und Twitter-Timeline mehr oder weniger intensiv teilhaben.
Mein Fazit
Die Autorin versteht es wunderbar, in LG;-) – Wie wir vor lauter Kommunizieren unser Leben verpassen die digitale Abhängigkeit unserer Zeit in eine prosaische Erzählung einzubetten. Es war für mich eine teilweise erschreckende Erfahrung, mich so oft und wiederholt in den Beschreibungen der Endzwanzigerin Anna und dem Mittdreißiger Markus wiederzufinden.
Besonders die lebendige Sprache und das geschickte Springen zwischen den unterschiedlichen Handlungssträngen haben mich regelrecht an das Buch gefesselt. Nina Pauer versteht es auf eine wunderbare Weise, die Lebensgeschichte der Hauptpersonen mit fachlichen Informationen anzureichern. Dabei ist sie nie belehrend, sondern schreibt er reflektierend. Ihre eingestreuten Fragen regen zum Nachdenken über das eigene Kommunikationsverhalten an und haben bei mir bewirkt, über meine eigene Nutzung von Twitter, Facebook und Co. nachzudenken.
Auch ich bin während der Lektüre nachdenklich geworden. Muss ich wirklich jeden Moment mit meinen Kontakten in den sozialen Netzwerken teilen? Muss ich wirklich jedes Tor meiner Dortmunder Borussia mit einem “Jaaaaaaaa, Robert Lewandowski/Marco Reus/Mario Götze 1:0/2:0/3:0 #BVB” in die Weiten von Twitter posaunen? Muss ich jedes Mittagessen in der Kantine fotografieren und auf Instagram als #foodporn taggen? Und ist es wirklich relevant, meine Facebook-“Freunde” mit im real life im Prinzip irrelevanten Informationen (“An der Fleischtheke ist die Schlange soooo lang”) zuzumüllen?
20. Februar 2013 um 13:40
Du denkst ganz richtig nach.
Mir fällt immer auf, dass ich Nichtigkeiten, mit der ich meine reale (analoge) Umgebung niemals langweilen möchte, durchaus auf Twitter teilen kann.
Eigentlich muss man nicht als ins soziale Netz ausposaunen.
LG
Sabienes
26. Februar 2013 um 23:16
Wenn ich mir meine Timeline ansehen, faellt mir an mir selbst wenig auf, aber die taeglichen Mittagessenposter kenne ich auch… andererseits, vielleicht finden die es seltsam, dass ich ueber Buecher schreibe, also vielleicht doch alles je nach Sichtweise.
Interessant ist das Thema auf jeden Fall.