Philipp Riederle ist Jahrgang 1994 und damit in etwa so alt wie das Internet. Er zählt deshalb zu den sogenannten Digital Natives, die mit dem Internet als selbstverständlichem Medium – wie Radio und Fernseher es jahrelang gewesen sind – groß geworden ist.
Die Digital Natives sind der Gegenpol zu den Digital Immigrants. Also jenen Menschen, die sich das Wissen über das Netz, dessen Gepflogenheiten und Abhängigkeiten erst mehr oder weniger mühsam erarbeiten mussten und deren Wissen diesbezüglich eher rudimentär vorhanden ist.
Riederle möchte mit Wer wir sind, und was wir wollen: Ein Digital Native erklärt seine Generation die digitale und die analoge Generation näher zusammenbringen. Außerdem ist sein Ziel, in Sachen Social Media und Internetzung generell Nachhilfe geben und dabei en passant die Generation Y, der er zweifelsfrei angehört, erklären und begreiflich machen.
Die ersten beiden Drittel des Buches waren für mich ein wenig zu aufgedreht, schrill und marktschreierisch. Riederle preist sein Leben in den sozialen Netzwerken und den unendlichen Weiten des Internets als Non plus ultra an und lässt andere Meinungen nicht wirklich gelten. Nicht selten nervt an dem Buch die Selbstbeweihräucherung, Selbstinszenierung und das Eigenlob des Philipp Riederle.
Wenn er beispielsweise vom Lob des Veranstalters bei einer Veranstaltung eines Fotografenverbandes berichtet oder sich generell als ulta-coolen Digital Native darstellt. Es sei dahingestellt, ob der Neunzehnjährige wirklich als Prototyp der neuen Generation dient oder ob er einfach Glück gehabt hat, in einem wohlhabenden Elternhaus aufgewachsen zu sein, das einem 13-jährigen im Jahr 1997 ermöglicht hat, das erste iPhone auf dem Markt aus den USA zu importieren.
Diese Sequenzen schwächen das inhaltlich gute Buch und sorgen für einen faden Beigeschmack. Dazu kommt das nervige Duzen des Lesers, das besonders anstrengend herüberkommt, wenn uns der junge Autor die digitale Welt erklären will, in der er sich ach so erfolgreich bewegt.
Doch so aufgedreht, provokant und spitzfindig einige Passagen in der ersten Hälfte des Buches gewesen sind, so sachlich, konstruktiv und aufklärend wird es im letzten Drittel. Wirklich sehr gelungen ist das neunte Kapitel. In diesem Abschnitt behandelt Riederle das Phänomen Facebook und versteht es sehr gekonnt, auch Digital Immigrants das Gesichtsbuch und seine Faszination für die Digital Natives begreifbar zu machen.
Auch das zehnte Kapitel „Ruhe, Rausch und Rebellion“ ist verdammt gut verfasst und räumt mit Vorurteilen gegenüber der Generation Y auf. Im Vergleich mit der Generation seiner Eltern (den 1989ern) macht Riederle deutlich, dass die Jugendlichen der heutigen Zeit alles andere als verpeilt sind und stattdessen eine ganz konkrete Vorstellung ihrer Ziele haben und diese fokussiert angehen.
Der 18-jährige gesteht, dass seine Generation trotz „always on“, Facebook und YouPorn auch die Heimat und die Familie wichtigste Konstanten und Stützpfeiler im täglichen Leben sind und vermeintliche spießige Avancen immer mehr an Beliebtheit gewinnen. Er bricht damit eine Lanze für seine Altersgenossen, denen vorschnell Unangepasstheit, Rebellentum und Destruktivität und Desinteresse vorgeworfen wird. Es sind die kritischen Konsumenten, die anstelle des “Mitmach-Web 2.0” das “Mitmach-Leben” frei bestimmen und sich täglich seinen digitalen und analogen Herausforderungen stellen.
Mein Fazit
Als “Klassensprecher der Digital Natives” hat die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Philippp Riederle treffend bezeichnend. Der 18-jährige vermittelt durch seine belehrende, schnoddrige Schreibe diesen Eindruck, der dennoch für ihn als Mensch authentisch wirkt.
Wirklich Neues erfährt der Leser über die Generation Y in Wer wir sind, und was wir wollen: Ein Digital Native erklärt seine Generation allerdings nicht. Dass “always on” für diese Generation ein Lebensinhalt ist, ist genauso wenig neu wie die Vorliebe für zeitversetztes Fernsehen “wann ich es will” und die Abneigung gegen feste Programm-Schemata im Fernsehen und im Radio.
Seine Ideen und Gedanken für die Zukunft klingen gut – vermitteln aber auch den Eindruck, dass der junge Bursche die echte Arbeitswelt erst noch kennenlernen muss. Denn Social Media allein erwirtschaftet nicht zwangsläufig Umsatz. Und nicht jeder kann sich ein digitales und analoges Leben wie der Jungautor leisten.
Die Missverständnisse zwischen den Digital Immigrants und den Digital Natives lassen sich nicht nur durch flotte Sprüche und Statements auflösen. Und eine Annäherung der beiden Generationen lässt sich nur auf Augenhöhe erreichen – nicht, indem permanent polarisiert und finger pointing betrieben wird.
Der letzte Absatz des Buches von aus dem Droemer Knaur Verlag bringt die 255 Seiten auf einen Nenner: “Wenn unsere Generation eine Aufgabe hat, dann besteht sie darin, Medienkompetenz weiterzugeben. Das Internet besser machen, um besser zu werden. … Wir können uns mitteilen. Und das bedeutet Teilen. Und das wiederum: ein Teil dieser Welt sein und unseren Platz in ihre haben. Das ist es, was wir wollen.”