Der Großteil der Management- und Führungsliteratur beschäftigt sich mit harten Fakten. In der jüngeren Vergangenheit hat zwar ein Wandel im Themenschwerpunkt weg von “facts and figures” und hin zu psychologischen und empathischen Ansätzen stattgefunden, doch wertvolle und hilfreiche Literatur ist derzeit noch selten.
Christiane Windhausen und Birgit-Rita Reifferscheidt versuchen mit ihrem Buch Das flüssige Ich: Führung beginnt mit Selbstführung einen ganzheitlichen Ansatz zu etablieren. Aus Sicht der Autorinnen gilt es, die Führung von Menschen und das Bewältigen der Transformation in den heutigen gesellschaftlich und wirtschaftlich stürmischen Zeiten mit dem passenden Rüstzeug zu bewältigen.
Werfen wir dazu einen historischen Blick zurück. “Gute Führung” hat sich in der Vergangenheit primär als das Erreichen von Financials verstanden: Umsatzziele sollten erreicht, Zielkunden gewonnen und Einsparpotenziale gehoben werden. Wenn das Ergebnis am Jahresende gestimmt hat, wurde von guter Führung und einer guten Führungskraft gesprochen. Dieses Bild hat sich inzwischen geändert.
Heute versteht sich “gute Führung” als Kombination aus “hard facts” und “soft facts”. Neben der Gewinnmaximierung gilt Partizipation und Empathie als wichtiger Erfolgsfaktur guter Führung. Dieser Ansatz überrascht wenig, denn die Arbeitswelt hat sich in den vergangenen Jahren radikal verändert. Die Übergänge vom Arbeits- ins Privatleben sind täglich fließend – der permanenten Erreichbarkeit der Angestellten sei Dank. Burn Out – Symptome und andere psychosomatische Erkrankungen gelten als neue Geißel des Arbeitsleben und stellen die Organisationen vor ganz neue Herausforderungen.
“Führung braucht Selbstführung” – das ist einer der Kernsätze des Buches der beiden Autorinnen. Und “Führung beginnt mit Selbstführung”. Denn nur wer sich selbst kennt, kann andere Menschen führen. Und das Führen versteht sich dabei unabhängig vom Umfeld. Sei es im Beruflichen als Leiter eines Teams, eines Bereiches oder eines ganzen Unternehmens oder sei es im Privaten als Familienvater, sportlicher Leiter eines Vereins oder in einer kirchlichen Gruppe.
Erst im sechsten Kapitel “Führung beginnt mit Selbstführung” und nach 140 Seiten mit überwiegend theoretischen Abhandlungen über diverse theoretische Modelle und Annäherungen an das Thema wird das Buch konkret und setzt sich praxisnah mit den Wirkungsweisen des flüssigen Ichs auseinander. Im siebten Abschnitt wird außerdem die Kompetenzmatrix erläutert, die als das Kernstück auf dem Weg zum flüssigen Ich gilt.
Ein bemerkenswerter Satz steht in Kapitel 3 (Kompetenzbildung durch Krisen):
Die Menschen [heutzutage] fürchten sich weniger vor Autoritäten … als vor Sinnlosigkeit. Sie fürchten sich vor allem vor sich selbst und vor der Beurteilung durch andere.
Und dieser Satz ist wahr und war für mich eines der Highlights des Buches.
Mein Fazit
Wahrscheinlich bin ich von anderen Inhalten und Schwerpunkten ausgegangen, aber Das flüssige Ich: Führung beginnt mit Selbstführung hat mich nicht überzeugt.
Das Buch ist mir in vielen Bereichen zu theoretisch und der Praxisteil mit Handlungsempfehlungen ist viel zu kurz geraten. Womöglich ist dieser Umstand sogar von Windhausen und Reifferscheidt gewollt, denn schließlich bedeutet Selbstführung in erster Linie und zwangsläufig und wie es der Name schon sagt, sich mit sich selbst zu beschäftigen.
“Das flüssige Ich” bietet umfangreiche psychologische und verhaltensbezogene Erläuterungen, die zwar keine psychologische Grundausbildung ersetzen können, aber partiell sehr intensiv und detailliert behandelt werden. Um das Gesamtkonzept, das hinter dem Sachbuch steht, verstehen und begreifen zu können, sind diese Informationen sicherlich nicht unnötig.
Ein ausgewogeneres Verhältnis zur praktischen Anwendung habe ich mir allerdings sehr gewünscht, denn ich habe mich mehrmals dabei erwischt, dass ich mich über vermehrt auftretende Längen geärgert und gelangweilt habe.
Pingback: Das flüssige Ich – Ein Buch hat Folgen | SONNOS