Heute ist ein trauriges Datum. Auf den Tag genau vor vier Jahren ist meine Omi gestorben.
Wenn sich der Schleier des Vergessens auch immer häufiger über die Ereignisse von damals hüllt, ist und bleibt meine Großmutter unvergessen.
Beim Aufräumen meiner digitalen Dokumente bin ich auf Aufzeichnungen gestoßen, die mich umgehend in die Vergangenheit katapultiert und den Schmerz und die Trauer an die Oberfläche gespült haben:
Die Erlösung
Es ist Mittwoch, 28. Oktober 2009. Ich sitze in der S-Bahn und bin kurz vor dem Hauptbahnhof Düsseldorf. Ich höre Musik und lese die Zeitung. Plötzlich vibriert es in meiner Jackentasche. Ich weiß: Ein Anruf morgens um 6:48 Uhr auf dem BlackBerry bedeutet nichts Gutes.
Und so ist es. Am Telefon ist mein Vater: “Omi ist erlöst.” Eine kleine Träne rinnt mir das linke Auge in der S-Bahn hinunter, aber ich schäme mich dafür nicht. Soll ich traurig sein? Oder soll ich mich freuen, dass sie von ihren Schmerzen erlöst worden ist?
Ich falte meine Hände zum Gebet und bitte den lieben Gott, sich gut um Omi zu kümmern.
Das Arbeitsleben akzeptiert keine Trauer
Das Perverse ist, dass das, was wir gemeinhin als “normales Leben” bezeichnen, weitergeht. Ich muss funktionieren. Meine Termine erledigen, an Meetings teilnehmen und Entscheidungen treffen. Business. Hartes Business.
Dort zählen keine Gefühle, keine menschlichen Regungen und Befindlichkeiten. Der Mensch muss seinen Pflichten nachkommen. Wie es in ihm aussieht, interessiert nur die wenigsten.
Angekommen um 7 Uhr im Büro klebe ich einen Zettel an die Tür: “Gespräch bis 8:45 Uhr. Bitte nicht stören!” Ich muss und will allein sein. Meine Gedanken ordnen. Ich schicke E-Mails an meine engsten Vertrauten und informiere sie über den Todesfall. Gleichzeitig bitte ich Sie, mich nicht auf das Thema anzusprechen.
Der Verlust ist vielfältig
Mein Vater hat seine Mutter verloren. Ich habe meine Großmutter verloren. Liam und Luke haben ihre Urgroßmutter – oder wie Luke zu sagen pflegt “Ui-Omi” verloren.
Und die Welt eine Frau, die in den mehr als 85 Jahren ihres Lebens so viel erlebt und durchgemacht hat, dass es für mehrere Lebensläufe reicht:
Geboren im ehemaligen Schlesen, Flucht in den Westen mit vielen persönlichen schlimmen Schicksalsschlägen, Neuanfang im Ruhrgebiet, Mutter von zwei Söhnen, Großmutter zahlreicher Enkel und Urenkel.
Omi hatte ein schönes und ausgefülltes Leben, sie war nie ernstlich krank. Der Verlust ihres Mannes, meines Opi, der im Jahr 1988 qualvoll am Krebs verstorben ist, raubte ihr nicht den Lebensmut. Sie widmete sich neuen Aufgaben und Herausforderungen und kümmerte sich um die Urenkel in ihrer Nähe.
Keiner konnte noch vor einem Vierteljahr voraussehen, dass sie heute, am 28.10.2009 nicht mehr leben sollte.
Das Schlimmste und Traurigste aber ist: die Welt hat eine bezaubernde Person verloren, die vielen Menschen ein Lächeln ins Gesicht gezaubert hat. Seit heute ist Omi nicht mehr bei uns und das Leben dunkel und grau.
Übermenschliches leisten
Ich habe riesengroßen Respekt vor meinen Eltern und meinem Bruder und dessen Freunden. Besonders meine Eltern haben sich in den vergangenen drei Monaten aufopferungsvoll um meine Omi gekümmert – fast bis zur Selbstaufgabe. Als Außenstehender kann man oftmals die hohe psychische, physische und zeitliche Belastung der pflegenden Angehörigen gar nicht hoch genug ein- und wertschätzen.
Meinen Eltern war es wichtig, dass sie meine Omi bei sich in der Wohnung, in der vertrauten Umgebung pflegen und sie nicht in die Hände eines kühlen, kranken und unmenschlichen Krankenhauses geben, wo der Patient oftmals nur eine Nummer ist und nicht als Mensch zählt. Diese Bereitschaft und Hingabe meiner Eltern ist auch eine Form, die Liebe zu Omi zum Ausdruck zu bringen.
Die schwierigste Aufgabe
Nun stehen mir noch die unangenehmen Aufgaben bevor: ich bin selbst sehr traurig und muss dennoch Trost spenden: meiner Frau und den Kindern.
Liam und Luke zu erklären, dass „Ui-Omi“ nicht mehr da ist, wird die härteste Bewährungsprobe für mich.
29. Oktober 2013 um 15:49
Hallo,
Respekt dafür, dass Du hier auf Deiner Seite so darüber schreibst. Wer einmal einen lieben Menschen gehen lassen hat, der weiß ungefähr, wie das ist. Ich finde es auch heftig, dass man kurz nach dieser Nachricht einfach so seinen Job machen muss oder will, ohne dabei auch nur groß zu zeigen, was man vielleicht gerade erfahren hat.
Aber man muss sich so etwas auch von der Seele reden oder schreiben, denn das hilft meistens.
17. November 2013 um 00:58
Die Gefühle sind mir so bekannt. Bei uns hat um fünf morgens das Telefon geklingelt, mein Vater wollte mich erreichen, bevor mein Mann zur Frühschicht musste, damit ich nicht allein bin. Und natürlich weisst Du sofort, dass etwas passiert ist.
Einer meiner ersten Gedanken war, dass nun alle Großeltern tot sind und dass der nächste Anruf bedeutet, dass ich ein Elternteil verloren habe.
Anfang Oktober waren es 6 Jahre und ich weine heute noch am Grab meiner Oma, weil sie mir fehlt.