Pyros und Gewalt – diese Assoziationen dürften den meisten Menschen als erstes in den Sinn kommen, wenn die Schlagwörter Ultras und Fußball fallen.
Dass diese subjektive Sicht genauso einseitig wie falsch ist, zeigt Christoph Ruf in seinem Buch Kurven-Rebellen: Die Ultras – Einblicke in eine widersprüchliche Szene auf.
Der Blick in eine Welt, die viele nur aus der Oberflächlichkeit der Tagespresse kennen, wird von Ruf in dem Buch aus dem Verlag Die Werkstatt journalistisch akkurat und dazu auch noch unterhaltsam aufbereitet.
Der Journalist hat sich monatelang auf Reisen quer durch die Republik gemacht und unter anderem Ultra-Gruppen in Cottbus und Aachen, Stuttgart und Münster sowie Dortmund und München getroffen. Die zahlreichen Gespräche mit Frauen und Männern ergeben ein Bild, das mit dem medial gehypten Bild der schlagenden rechten Radikalos genauso wenig zu tun hat wie der FC Schalke 04 mit dem Deutschen Meistertitel.
Die Einblicke hinter die Kulissen der Subkultur, die Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts entstanden sind, zeigen vielmehr, wie engagiert, couragiert und motiviert die Fans, die Tag und Nacht, Woche für Woche für ihren Verein leben, zu Werke gehen. Und mit welchen Widerständen sie innerhalb ihres Klubs und innerhalb der Gesellschaft zu kämpfen haben.
Neben den Protagonisten in den Kurven kommen auch die “Gegner” und vereinsinternen Kontrahenten zu Wort: die Polizei, deren Einsätze vor, während und nach dem Spiel nicht nur gelegentlich über das Ziel hinausschießen, die Hooligans, die in den Kurven der Stadien zumindest teilweise die Führung an die Ultras abgegeben haben und die Politiker, die sich die Panikmache der Medien in Sachen Gewalt und Pyro populistisch zu eigen machen.
Das Thema “Ultras und Gewalt” bekommt ebenfalls den journalistischen Raum, den der Komplex – leider – verdient. Ruf lässt beide Seiten zu Wort kommen und vermeidet es, für eines der beiden Lager Partei zu ergreifen.
Mit einer Ausnahme. Rainer Wendt, Chef der Gewerkschaft der Polizei und als medial omnipräsenter Scharfmacher bekannt, wird aufgrund seiner populistischen Äußerungen zur angeblich ausbordenden Gewalt in und vor den Fußballstadien treffend als solcher skizziert.
Doch Ruf macht nicht den Fehler, die Ultras ausschließlich zu romantisieren. Themen wie Gewalt und Rechtsradikalismus werden nicht ausgespart, sondern analysiert und diskutiert.
Auch die braune Kruste, die sich in Dortmund auf die vielbewunderte Gelbe Wand gelegt hat, wird von Christoph Ruf analysiert. Nicht umsonst gilt das von Rechten infiltrierte Publikum auf der Südtribüne nicht zu Unrecht als Malus auf der vermeintlich so reinen Weste im Westen. Inzwischen hat Borussia Dortmund das Thema prominent auf die Agenda gesetzt und den Kampf gegen rechts auch öffentlichkeitswirksam aufgenommen.
“Die Ultras sind die Besten ihrer Generation.” Mit diesem Fazit schließt das Vorwort von Christoph Ruf. Einem Fazit, dem der Leser nach der Lektüre der knapp 190 Seiten nicht nur wohlwollend beipflichten kann.
Christoph Ruf ist es gelungen, ein differenziertes Bild einer Subkultur zu zeichnen, die die Stadien des Landes bereichern – mit Menschen, die mit unheimlich viel Engagement und Herzblut in ihre Sache stecken und darüber hinaus versuchen, neben den neunzig Minuten am Spieltag auch außerhalb des Platzes Dinge zu erreichen, die vielen helfen und gesellschaftspolitisch relevant sind.
Ich wünsche mir, dass jeder Talkshow-Teilnehmer und Pressevertreter, der sich künftig mit dem Thema Ultras und Fußball beschäftigt, zuvor Kurven-Rebellen: Die Ultras – Einblicke in eine widersprüchliche Szene gelesen haben muss.
Es hilft, ein differenziertes Bild des vermeintlichen Schreckgespenstes Ultras zu erhalten und diese Kultur und ihr Anliegen und ihren Antrieb zu verstehen.