Als eine Kollegin im siebzig Kilometer entfernten Borkendorf schwanger wird, muss Wirtschaftsredakteur Ralf Heimann das Ressort wechseln und mutiert für einige Monate zum Lokaljournalisten.
Die Erlebnisse auf dem Land sind in dem Buch Die tote Kuh kommt morgen rein: Ein Reporter muss aufs Land niedergeschrieben, die einen Blick auf den Journalismus in der Provinz werfen.
In seiner ersten Redaktionskonferenz lernt Heimann neben den neuen Kolleginnen und Kollegen auch die künftigen Themen mit jeder Menge Tiefgang kennen: die letzte Pissrinne im Münsterland.
Seine erste journalistische Herausforderung ist die hiesige Prunksitzung, die im Januar der vorläufige Höhepunkt des Karnevals ist. Doch auch die Geselligkeit kommt nicht zu kurz – bei der Weihnachtsfeier im März, als sich die gesamte Redaktion ordentlich abschießt.
Außerdem erlebt der Schreiberling hautnah eine Amtsmissbrauch-Affäre, darf eine Homestory mit einem greisen One-Hit-Wonder schreiben und verbringt einen ganzen Samstag bei einem preisdekorierten Taubenzüchter. Später folgen Schützenfest-Erlebnisse und weitere Veranstaltungen, die ein Leben auf dem Land ausmachen.
Seine regelmäßigen Versuche, den verstaubten Redaktionsalltag mit Innovationen aufzulockern, verlaufen genauso schnell im Sande wie die Neuerungen anfangs von den Journalisten aufgenommen worden sind. Und dann wird auch noch ein neues Redaktionssystem eingeführt, dass die alteingesessenen Redakteure zur Verzweiflung treibt.
Twitter und Facebook sind genauso Neuland wie das online Stellen der Texte. Die digitale Revolution begann schleppend und wurde nur zögerlich akzeptiert. Erst als offensichtlich wurde, dass Online die Zukunft sei, brach der Widerstand. Online-Ticker und die Jagd auf Follower bei Twitter waren die ersten Schritte ins digitale Neuland.
Ralf Heimann hat ein amüsantes und unterhaltsames Buch über den Redaktionsalltag einer münsterländischen Zeitung geschrieben, die so in jeder Ecke Deutschlands passieren könnte.
Die anfängliche Skepsis über die Abschiebung in die Provinz weicht phasenweise einer Begeisterung für das neue Aufgabengebiet. Die Trinkfestigkeit der Einwohner wird genauso persifliert wie die Kumpanei in Wirtschaft und Behörde, der Umgang mit den ungeliebten Themen im Redaktionsalltag ist genauso Inhalt wie die ersten Schritte in der Online-Welt.
Insbesondere die Live-Ticker und die Twitter-Experimente sind für mich das Highlight des Buches. Heimanns Schilderungen der ersten exklusiven Nachrichten, die die Redaktion über Twitter verbreitet (“Der Gartenzaun der Kirchengemeinde wurde weiß gestrichen”) und die Live-Übertragung aus einem liegengebliebenen Bus vor einer Ampel sind einfach köstlich.
Heimann überzeichnet bewusst einige Begebenheiten, doch der Kern der Aussage ist unstrittig. Als langjähriger freier Mitarbeiter in einer ostwestfälischen Lokalredaktion sind mir viele Erzählungen bekannt vorgekommen 🙂
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