Karten bestimmen das Leben der Menschen seit vielen hundert Jahren. Auch in Zeiten der GPS-Navigation und Digitalisierung ist die Kartografie unverzichtbar.
Der britische Journalist Simon Garfield hat den historischen und aktuellen Karten ein über 500 Seiten starkes Buch gewidmet, das mit dem Titel Karten! Ein Buch über Entdecker, geniale Kartografen und Berge, die es nie gab endlich auch in deutscher Übersetzung im Theiss Verlag vorliegt.
Angefangen vom alten Ägypten, in dem der Leser mit Claudius Ptolemäus einen der wichtigsten Kartografen aller Zeiten kennenlernt, geht die Reise über die mittelalterliche Mappa Mundi weiter zu den Portalan – Seekarten, die anno 1492 nicht nur von Christoph Kolumbus bei der Entdeckung von Amerika Verwendung gefunden haben.
Natürlich findet auch die berühmte Waldseemüller-Karte aus dem Jahr 1507 Erwähnung, die in Lothringen maßgeblich von dem Deutschen Martin Waldseemüller geschaffen worden ist und 2003 für sagenhafte zehn Millionen US-Dollar den Besitzer gewechselt hat. Außerdem fehlt auch die Mercators berühmte Weltkarte von 1569 genauso wenig wie der Blaeu Atlas Maior aus dem Jahr 1665.
Auch die Entstehung des ersten präzisen und detailreichen Stadtplans von London und die erstmalige Vermessung des Mount Everest werden von Garfield beleuchtet. Der berühmtesten Karte der Welt, der Londoner U-Bahn-Plan, der 1933 entstanden ist, wird ebenfalls ein eigenes Kapitel gewidmet.
Die revolutionären Veränderungen der Landvermessungen im 19. Jahrhundert, ausgehend von Frankreich und England sind ebenfalls ausführlich dargelegt. Gleiches gilt für die medizinische Kartografie, die im 19. Jahrhundert unter dem Einfluss der Pest und Cholera entwickelt worden ist, und die Kriegskarten Churchills aus den 1940er Jahren finden sich in Karten! wieder.
Der Chronologie folgend, endet das spannend zu lesende Buch mit den heute am meisten faszinierenden Karten. Sie befinden sich in Computerspielen wie GTA und Skyrim, die sich im Hinblick auf Vielseitigkeit und Prachtfülle nicht hinter den mittelalterlichen Werken verstecken brauchen und deren Faszination nicht kleiner geworden ist.
Simon Garfield schreibt fesselnd, unterhaltsam und lehrreich. Selbst vermeintlich trockene Themen wie Navigation und Kartenlehre kann er anschaulich und plakativ vermitteln und die Neugierde wecken. Seine Erzählungen sind unterhaltsam und kurzweilig und lassen nie Langeweile aufkommen.
Dabei beschränkt sich der Sachbuchautor nicht nur auf kartografische Details und Hintergrundberichte. Denn Kartografie geht immer einher mit der Geschichte der Welt und ihrer Länder und damit liefert Garfield zusätzlich spannende geschichtliche Informationen.
Die Entwicklung der Karten ist gleichzeitig auch ein Blick in die Geschichte der technischen und industriellen Fortschritte, die insbesondere im 19. und 20. Jahrhundert massive Veränderungen gebracht haben.
Zugleich räumt er mit mittelalterlichen Mythen auf. Den lateinischen Ausspruch “Hic sunt dracones” (Hier sind Drachen), der angeblich verwendet worden ist, um gefährliche oder nicht kartierte Gebiete zu kennzeichnen, gibt es beispielsweise auf keiner der zeitgenössischen Karten.
Ähnlich verhält es sich mit der Herkunft des Namens “America”, der entgegen allen anders lautenden Gerüchten nicht auf den florentinischen Seefahrer Amerigo Vespucci zurückgeht, da das heute als Amerika genannte Land von Christoph Kolumbus entdeckt worden ist.
Auch aktuelle Mythen werden aufgelöst. Das Vorurteil, dass Frauen keine Karten lesen können, ist nicht richtig. Frauen lesen Karten nur anders und orientieren sich eher an markanten Punkten denn an Himmelsrichtungen und Straßenverläufen.
Karten! Ein Buch über Entdecker, geniale Kartografen und Berge, die es nie gab enthält zahlreiche Abbildungen historischer Karten, die leider nur in schwarz-weiß abgedruckt sind. Dennoch machen sie den Detailreichtum der Karten früherer Jahrhunderte begreifbar und anschaulich.
Heute haben Navigationsgeräte in den Fahrzeugen und Google Maps auf dem Smartphone die klassische Navigation abgelöst. “Navis sind militärische Navigation für Dilettanten”, schreibt Garfield seinen Nutzern ins Stammbuch und macht deutlich, was er von den digitalen Helfern im privaten Bereich hält.