Die Operation meines Dads war erfolgreich und es war Zeit zum Durchatmen. Am nächsten Morgen galten meine Gedanken natürlich wieder meinem Vater.
Ich hatte am Vorabend erfahren, dass er bis zum nächsten Morgen schlafen sollte und erst dann geweckt wird. Die Operation ist für den Körper sehr anstrengend und intensiv gewesen und deshalb ist Ruhe in dieser Phase das Wichtigste.
Als ich am Montag um elf Uhr beim Arzt angerufen hatte, sollte sich diese Festellung bestätigen. Jetzt hatte ich das Ruder in die Hand genommen und die Informationen für den Rest der Familie zusammengetragen. Und da hat sich gezeigt, dass das Kind, das ich für meine Mutter immer bleiben werde (wie sie es ausdrückt), zum erwachsenen Sohn geworden ist.
Klingt doof, aber was ich damit sagen will ist: während sich meine Eltern viele Jahre lang um mein Wohlergehen gekümmert und gemacht und getan haben, ist es jetzt an der Zeit für mich, ihnen einen Teil davon zurückzugeben. Jetzt kümmere ich mich, kläre Dinge und lasse mich informieren. Das hilft uns allen in der Familie und ist für mich nur folgerichtig und selbstverständlich.
Die ersten drei Tage nach der OP
Von einer Arbeitskollegin habe ich gelernt, dass die ersten drei Tage nach der Operation am meisten Kraft kosten. Das gilt in erster Linie natürlich für den Patienten, aber auch für die Angehörigen. Als ich am Montag Vormittag mit dem Arzt telefoniert hatte, ging es mir nach dem Gespräch nicht gut. Bei Dad ist ein Lungenödem aufgetreten, das als erstes in den Griff bekommen werden musste.
Wer sich die Mühe macht und “Bypass-Operation” und “Lungenödem” googlet, macht einen großen Fehler, der absolutes Unwohlsein und Übelkeit zur Folge hat. Denn neben medizinischen Erklärungen gibt es auch jede Menge Erfahrungsberichte und Schauermärchen zu lesen.
Und wieder habe ich in der darauffolgenden Nacht schlecht geschlafen. Als mein Vater am Sonntag Nachmittag die Operation hinter sich hatte, habe ich geglaubt, die größte Etappe sei geschafft. Rational gesehen ist das auch sicherlich richtig. Aber dann ging die Sorge bei mir erst richtig los.
Der Zustand meines Dads ist stabil und bessert sich stetig. Doch die Angst bei mir bleibt. Und setzt sich nachts fort. Deshalb war es kein Wunder, dass ich in der Nacht mehrmals aufgewacht und erneut vor dem Klingeln des Weckers wach gewesen bin. Und was hilft am besten gegen Angst? Richtig: Laufen!
Also ab in die Laufschuhe und losgelaufen. Die kalte, klare Luft sollte mir den Kopf freipusten und die trüben Gedanken vertreiben. Ich merke immer mehr, dass mein rationaler Panzer, den ich mir angelegt habe, immer mehr zerbröselt ist und meine psychischen und seelischen Wunden freigelegt hat.
Doch mir ist auch eins klar geworden: Es gilt, positiv nach vorn zu schauen und auf die Stärke meines Vaters und die Kompetenz der behandelnden Ärzte zu vertrauen, dann wird alles gut. Deshalb habe ich den Lauf über zehn Kilometer auch meinem Daddy gewidmet.
Ein ganz neuer Blickwinkel
Die Tage und Wochen vor der Operation meines Vaters, die Stunden während der Operation und die Stunden und Tage nach der Operation haben nicht nur meine Beziehung zu meinem Vater und meiner Mutter verändert und gefestigt, sondern auch meinen Blick auf das Leben verändert.
Viele Dinge, die eine vermeintliche Bedeutung haben, sind sooooo unwichtig.
Viele Konflikte, die Kraft kosten und dennoch bis aufs letzte ausgefochten werden, sind sooooo unnötig.
Viele Sorgen und Nöte, die unwahrscheinlich groß und unüberwindbar erscheinen, sind sooooo unbegründet.
Das erkennt man oftmals erst, wenn man einen lieben Menschen gemeinsam durch diese schwierige Zeit einer schwierigen und nicht ungefährlichen Operation begleitet hat.
Auch wenn ich an vielen der vergangenen Tage gemeinsam mit meiner Familie eine emotionale Achterbahnfahrt mit Ausschlägen in alle Richtungen gemacht habe: Ich bin dankbar, dass ich diese Erfahrung machen durfte und noch viel, viel dankbarer, dass mein Vater den komplexen Eingriff gut überstanden hat.
Jetzt geht es nach dem Krankenhaus-Aufenthalt in die Reha und schon bald wird mein Dad ganz der Alte sein.