Jahrelang war die Diagnose Burnout Menschen im zweiten Teil ihres Berufslebens vorbehalten. Menschen, die fest im Job verankert sind und sich langsam und schleichend dem Druck des Arbeitsalltags nicht mehr hingeben konnten, wurden mit dieser Diagnose eingestuft.
Das ist heute anders. Burnout ist in den Kinderzimmern angekommen. Eine Erkrankung, die bislang Erwachsenen vorbehalten wir, befällt inzwischen auch Kinder. Und zwar bereits in der Grundschule und insbesondere auf den weiterführenden Schulen.
Woran liegt das? Prof. Dr. med. Michael Schulte-Markwort versucht in seinem Buch Burnout-Kids: Wie das Prinzip Leistung unsere Kinder überfordert, den Ursachen des Ausbrennens auf den Grund zu gehen und mögliche Therapien zu entwickeln.
Anhand des medizinischen, stufenweisen Vorgehens nach Befund, Diagnose, Ursachenforschung und Behandlung nähert sich der Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie dem Thema Stück für Stück und legt die Ursachen frei und liefert Anhaltspunkte für eine erfolgreiche Behandlung.
Die Ursachen für Burnout sind vielfältig
Die Ursachen sind vielfältig und liegen in der Familie (Scheidungskinder, berufstätige Mütter und vieles mehr), der Schule (gesteigerte Anforderrungen), der Digitalisierung des Alltags (Smartphone, Videospiele und digitale Medien generell) und generell dem Druck, den sich Kinder in diesem Spannungsfeld ausgesetzt sehen. Dazu zählt auch die Leistungsgesellschaft unserer Tage, in der Schwäche nur selten bis gar nicht akzeptiert, sondern vielmehr stigmatisiert wird.
Anhand eines ganz normalen Tages in der Ambulanz stellt der Psychotherapeut anfangs fünf beispielhafte Krankheitsbilder vor. Egal ob neun oder 17 Jahre alt, egal ob Mädchen oder Junge, egal ob Unterschicht oder Mittelschicht: jedes der Kinder hat mit unterschiedlichen Diagnosen, aber alle mit dem gleichen Ergebnis zu tun. Es handelt sich durchweg um Erschöpfungsdepressionen, die als angemessenes Fachwort für das landläufige Burn-Out-Syndrom bekannt sind.
Schulte-Markwort mag Kinder und hat großen Respekt vor dem Nachwuchs. Er nimmt die Kinder der heutigen Zeit reflektierter und kommunikativer als je zuvor wahr. Die Erziehung und der partizipative Führungsstil der Eltern begünstigt diese Entwicklung, in der Mädchen und Jungen nicht mehr nur bloße Befehlsempfänger sind, sondern als vollwertige Familienmitglieder wahrgenommen werden.
Burnout ist keine Modekrankheit unserer Zeit
Im Rahmen der Diagnose räumt der Autor mit dem Mythos auf, dass Burnout eine junge Krankheit sei, die als Modekrankheit verschrien ist. Doch weit gefehlt. Bis in die Bibel zurück reichen die Hinweise, dass bereits vor hunderten von Jahren Menschen von Arbeit und Druck erschöpft und müde wurden. Daran ändert auch nichts, dass der Begriff Burnout erst 1974 in die Medizin eingeführt worden ist.
In Bezug auf die weiterführenden Schulen macht der Autor insbesondere die Gymnasien verantwortlich, der als Prototyp des Burnout auslösenden Schultypus gilt. Insbesondere der krasse Übergang von der Grundschule, die neuen Lehrkräfte und Mitschüler sowie die neuen Anforderungen an die Selbständigkeit haben erhebliche Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl und die Zuversicht der Kinder.
Der Autor kritisiert die Haltung der Gymnasien, aus deren Sicht das Kind schuld ist, wenn es etwas nicht kann oder nicht versteht im Unterricht, und dass dies sein Problem ist. Ganze Klassen leiden gelegentlich unter den Verunglimpfungen ihrer Lehrerinnen und Lehrer.
Auch das Leistungsprinzip macht vor den Kindern nicht Halt und verschärft die Situation. In Summe sind also primär die Schule, die Gesellschaft an sich und auch die Eltern als Ursache für das Burnout der Kinder verantwortlich.
Die bösen digitalen Medien sind ein Trugschluss
Die Schuld den digitalen Medien in die Schuhe zu schieben, lehnt Michael Schulte-Markwort ab. Er argumentiert, dass diese Medien an vielen Stellen das tägliche Leben erleichtern und es verändern. Doch es gäbe keinerlei Hinweis darauf, dass Kinder durch die Nutzung digitaler Medien dümmer oder schlechter in der Schule werden. Dennoch ist auch eine Warnung angebracht: die digitale Kommunikation und ihre Schnelligkeit können Stress auslösen. Multitasking und ständige Erreichbarkeit sind nicht ohne Grund in der Kritik – nicht nur bei Erwachsenen.
Nach der Beschreibung der Ursachen des Burnouts bei Kindern widmet sich der Professor für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Behandlung der Krankheit. Die Behandlung beinhaltet neben einer psychotherapeutischen Behandlung auch die Verschreibung von Medikamenten. Insbesondere in stark depressiven Phasen ist aus Sicht des Mediziners diese Gabe erforderlich, um zu einer raschen Genesung unterstützend beizutragen.
Eine ganz besondere Rolle kommt den Eltern bei der Behandlung zu. Allerdings gilt das nicht nur für die Behandlung, sondern auch präventiv. Denn wenn Eltern im Dialog mit ihren Kindern sind, Werte Vorleben und das Prinzip Leistung kritisch und konstruktiv begleiten, ist die Wahrscheinlichkeit, dass Burnout entsteht geringer bzw. die Wahrscheinlichkeit zur erfolgreichen Behandlung größer.
Michael Schulte-Markwort erklärt in seinem Nachwort zu Burnout-Kids: Wie das Prinzip Leistung unsere Kinder überfordert, dass sein Buch nur ein erster Aufschlag sein kann. Es liegt an uns Erwachsenen, die Quote der Burnout-Kids stetig sinken zu lassen und den Nachwuchs in einer lebenswerten Kindheit aufwachsen lässt.