Es gibt Augenblicke im Leben, da schäme ich mich, ein Ostwestfale zu sein.
Heute ist so ein Tag. Seit ein paar Stunden kursiert ein Text aus der Sonntagszeitung des Westfalen-Blattes, “OWL am Sonntag – Zeitung für Paderborn/Bielefeld” im Netz, der für Empörung und Verwunderung sorgt.
Es geht dabei um die Rubrik “Guter Rat am Sonntag”, in der eine Frau Ratschläge für alle Lebenslagen hat. Bernhard benötigt ihre Hilfe in einem aus seiner Sicht pikanten Thema.
Der 43 Jahre alte Bernhard ist ratlos und wendet sich an Barbara Eggert:
Wir haben zwei Töchter, die acht und sechs Jahre alt sind. Mein Bruder hat seit Jahren einen Freund. Unsere Kinder mögen ihren Onkel und seinen Freund sehr, wissen aber nicht, dass sie homosexuell sind. Tatsache ist, dass unsere Töchter noch keine Ahnung haben, was Homosexualität bedeutet.
Die beiden Männer wollen demnächst heiraten und möchten, dass unsere Mädchen Blümchen streuen. Meine Frau und ich haben unseren Kindern beigebracht, dass die Ehe eine ernste Entscheidung zwischen Mann und Frau ist. Mein Bruder und sein Freund sind wunderbare Menschen, aber eine Ehe finde ich unpassend.
Ich will nicht, dass unsere Kinder an dieser Hochzeit teilnehmen und sich in ihrem kindlichen Alter schon mit dem Thema der sexuellen Orientierung befassen. Für meine Frau und mich ist das ein Problem.
Wohlgemerkt handelt es sich bei der Anfrage um eine Frage aus dem Jahr 2015. Aus einem Jahr, in dem Homophobie leider mehr denn je verbreitet ist und die Liebe unter gleichgeschlechtlichen Paaren als unnatürlich gilt. Zumindest in den Augen mancher Menschen, die in Zeitungen mit Rat und Tat zur Seite stehen.
Die einfühlsame Barbara weiß Rat und schreibt Bernhard:
Es ist für homosexuelle Paare sicherlich nicht einfach, eine gelungene Hochzeitsfeier zu organisieren, die der ganzen Familie gerecht wird. Aber bei allem Respekt, es muss nicht sein, sechs- und achtjährige Kinder einzuladen.
Ich gebe Ihnen Recht, Ihre beiden Töchter würden durcheinander gebracht und können die Situation Erwachsener nicht richtig einschätzen, weil sie noch zu jung sind. Andere Kinder mögen vielleicht liberaler aufgewachsen sein, Ihre Töchter sind anders erzogen.
Sagen Sie Ihrem Bruder ehrlich, wie Sie denken, und dass Ihre Kinder an der Feier nicht teilnehmen, weil Sie und Ihre Frau nicht möchten, dass die Kinder verwirrt werden. Ihre Töchter werden sich noch früh genug mit dem Thema Sexualität befassen.
Zu dieser Antwort fallen mir nur drei Buchstaben und ein Satzzeichen ein:
WTF?Update 19. Mai 2015: Stellungnahme des Westfalen-Blattes
Am Nachmittag gab es eine Stellungnahme des Westfalen-Blattes zu dem Sachverhalt:
“Bielefeld (WB). Zu der Kolumne »Unsere Töchter schützen«, erschienen am 17. Mai in der zur Unternehmensgruppe WESTFALEN-BLATT gehörenden Sonntagszeitung »OWL am Sonntag«, nimmt unser Haus wie folgt Stellung:
Sehr selbstkritisch müssen wir einräumen, dass in der Kolumne so formuliert wird, dass der Text Kritik geradezu herausfordert. Das ist unzweifelhaft eine gravierende journalistische Fehlleistung, die die Redaktion in vollem Umfang zu verantworten hat. Wenn die Rede davon ist, dass die Kinder »verwirrt werden« könnten, dann fehlt zwingend die Erklärung, woraus dies resultieren könnte – nämlich nicht aus dem Besuch einer Hochzeit zweier Männer an sich, sondern dadurch, dass den beiden Töchtern des Ratsuchenden bisher jegliche Aufklärung über Homosexualität fehlt.
Diese Entscheidung der Eltern ist sicher für sich genommen diskussionswürdig. Wir halten sie mit Blick auf das Alter der Töchter – die Mädchen sind acht und sechs Jahre alt – allerdings durchaus für legitim. Selbstredend kann das jeder Erziehungsverantwortliche für sich selbst und seine Schutzbefohlenen natürlich anders sehen und handhaben. Diese Eltern aber haben für sich so entschieden, und auf dieser Entscheidung wiederum fußt der Rat unserer Autorin.
Barbara Eggert erklärt persönlich: »Hier geht es nicht um meine Weltanschauung oder einen gesellschaftlichen Konflikt, sondern um ein ganz privates, nicht repräsentatives Problem eines verunsicherten Vaters. Ich habe ihm geschrieben, dass seine Kinder vielleicht nicht liberal genug erzogen wurden und ihm geraten, ein offenes Gespräch mit seinem Bruder zu suchen, um seinen Standpunkt zu erklären. Ich bin der Meinung, dass man alle Menschen ernst nehmen und respektieren muss, auch die, und gerade die, die anders denken als man selbst, alles andere würde mir intolerant erscheinen.«
Geradezu absurd ist vor diesem Hintergrund der Verdacht, das WESTFALEN-BLATT empfehle »Kinder von Homosexuellen fernzuhalten«. Dem widerspricht schon das geschilderte Ausgangsszenario seitens des Familienvaters, wonach seine beiden Töchter in gutem Kontakt zu ihrem Onkel stehen. Auch ging es im vorliegenden Fall um eine ganz konkrete Lebenssituation und nicht um eine generelle Handlungsempfehlung. Diese steht uns weder zu noch würden wir sie uns anmaßen.
Ulrich Windolph, Redaktionsleiter WESTFALEN-BLATT”
Update 20.05.2015: weitere Stellungnahme des Westfalen-Blattes
Heute Abend hat das Westfalen-Blatt eine weitere Stellungnahme veröffentlicht – es hat anscheinend ordentlich hinter den Kulissen rumort:
“Zur Kolumne »Guter Rat am Sonntag« vom 17. Mai in der Sonntagszeitung »OWL am Sonntag«:
Der Artikel der freien Autorin Barbara Eggert in der Sonntagszeitung »OWL am Sonntag« vom 17. Mai hätte so in keinem Fall erscheinen dürfen. Er war fälschlicherweise mit der Redaktionsleitung nicht abgestimmt, und die Unternehmensgruppe WESTFALEN-BLATT distanziert sich ausdrücklich von seinem Inhalt. Zugleich trägt die Redaktion die volle Verantwortung für diese sehr gravierende journalistische Fehlleistung. Wir bitten für diesen Fehler um Entschuldigung. Frau Eggert wird fortan nicht mehr für uns schreiben, wir werden ihre Kolumne beenden.
Ulrich Windolph, Redaktionsleiter WESTFALEN-BLATT”
20. Mai 2015 um 19:13
Und die Stellungnahme hat das Ganze nochmal getoppt.
Ich frage mich auch, wie das bisher lief, durfte der Freund nie mitkommen, wenn der Onkel zu Besuch kam? Oder was haben die den Kindern bisher erzählt, wer das ist.
LG
Daggi