Seit es den Fußball in seiner jetzigen Form gibt, stehen die Schiedsrichter im Kreuzfeuer der Kritik.
Dabei wird oft unterschätzt, wie anspruchsvoll und anstrengend der Job des Unparteiischen während eines Fußballspieles ist. Und bislang gab es wenig Gelegenheit, hinter die Kulissen des – heute nicht mehr ausschließlich – schwarzen Mannes zu blicken.
ICH PFEIFE!: Aus dem Leben eines Amateurschiedsrichters möchte diesen Makel heilen. Christoph Schröder, im Haupterwerb als Literaturkritiker tätig, nimmt uns mit auf die Fußballplätze, die noch ursprünglich sind. Fernab von medialer Aufmerksamkeit, nah dran an Bodenständigkeit und mehr oder weniger ehrlichem und fairem Fußball. Dort geht Schröder seit mehr als zwei Jahrzenten seinem Faible nach: der Schiedsrichterei.
Fußball ist unser Leben
Natürlich stehen der Fußball und insbesondere das Schiedsrichterwesen im Mittelpunkt des Buches. Schröder erzählt von den Anfängen seiner Laufbahn als Mann mit der Pfeife und liefert Einblicke in ein Metier, das nur den wenigsten Fußballfans bekannt ist. Nicht nur deshalb ist die Akzeptanz der Schiedsrichterleistungen auf den Plätzen der Republik selten ausgeprägt.
Ausflüge in die Skurrilitäten der Regelkunde sind ebenso amüsant wie lehrreich. Oder war dir bekannt, was zu tun ist, wenn der Ball an der Torlatte festgeeist ist? Wie wird das Spiel dann fortgesetzt?
Auch die von vielen als kompliziert empfundene Abseitsregel kann der Autor treffend erklären: Abseits ist dann, wenn ein Spieler der gegnerischen Torlinie näher ist als der Ball und der vorletzte Gegenspieler. Simpel, oder? Mit dieser Definition wird jeder zum Held jedes Smalltalks.
Die Psychologie des Fußballspiels
Christoph Schröder liefert en passent Einblicke in die Psychologie des Spiels, die der Unparteiische maßgeblich beeinflussen kann und muss. Er entscheidet im Umgang mit dem Leitwolf der Mannschaft, in welche Richtung und mit welcher Härte ein Spiel beginnt und endet.
Er hat es in der Hand, den Leitwolf zu nutzen, um die Elf in die Schranken zu weisen. Und er hat die Aufgabe, den kreativen Mittelfeldspieler vor den Attacken des Gegners zu schützen.
Außerdem stellt er heraus, dass die Entwicklung im Fußball der letzten zwanzig, dreißig Jahre auch vor den Schiedsrichtern nicht Halt macht. Das Spiel ist schneller und athletischer geworden, die Ausbildung der ehemals schwarzen Männer, die heute bunter denn je auflaufen, ist besser und umfangreicher geworden.
Keiner ist frei von Fehlern
Schröder ist nicht frei von Fehlern und macht daraus auch keinen Hehl. Ein ganzes Kapitel hat er den Fehlentscheidungen gewidmet. Er wirft einen Blick hinter die Kulissen des Schiedsrichterwesens, lässt den Leser an Fortbildungen und Prüfungen teilhaben, und bringt Licht in die Regeln des Auf- und Abstiegs der Unparteiischen und die teilweise gefürchteten Schiedsrichterbeobachtungen, die im Laufe der Jahre eine deutliche Professionalisierung erfahren haben.
Schröder gelingt es, genauso subtil wie gekonnt, Verständnis für die Schiedsrichter und ihre schwierige Aufgabe auf dem Platz zu entwickeln. Aber nicht, indem er sich beim Leser anbiedert. Sondern indem er Situationen schildert und mit klassischen Mythen aufräumt. Beispielsweise mit der oft zitierten Vorteilsregel – die übrigens keine Regel ist und auch in keinem Regelbuch steht, sondern nur eine Vorteilsbestimmung ist – und mit dem oft geforderten Fingerspitzengefühl des Mannes in Schwarz, das im Prinzip nur die Regelbeugung zugunsten eines Spielers ist.
Auch die (schlechte) Bezahlung des Referees wird behandelt, gleiches gilt für die gesellschaftlichen und sportpolitischen Umwälzungen im Mikrokosmos Amateurfußball. Und mit Medienkritik spart der Literaturkritiker ebenfalls nicht. Das mediale Echo auf Entscheidungen des Mannes mit der Pfeife wird mit der immer stärkeren Ausweisung der Berichterstattung größer und größer.
Ein Literaturkritiker als Schiedsrichter – das passt
Allein schon sprachlich ist das Buch von Christoph Schröder alles andere als ein klassisches Fußballbuch. Die Sprache ist metaphorisch, verschachtelte Sätze zwingen mich, sorgfältig und manches Mal sogar mehrfach Abschnitte zu lesen. Sprachwitz und ausführliche Abschweifungen in die Politik und die gesellschaftlichen Themen sind weniger die Seltenheit als die Regel. Und das ist gut so – langweilige Fußballbücher gibt es mehr als genügend.
Und Christoph Schröders Hauptberuf zeigt sich von der ersten bis zur letzten Seite des Buches aus dem Tropen Verlag. Sprachwitz ist an der Tagesordnung – ohne dabei lächerlich zu wirken – und wenn sich der Leser an die teilweise verschachtelten Sätze gewöhnt hat, stellt sich rasch große Lesefreude ein , die absolut unterhaltsam ist und jede Menge Spaß macht.
ICH PFEIFE! Aus dem Leben eines Amateurschiedsrichters ist nicht nur für angehende Schiedsrichter spannend und lehrreich, sondern auch für Fußballer, die sich für die Gedanken und Motivationen des Referees interessieren und alle, die den Fußball lieben. Viele persönliche Anekdoten und Erlebnisse mit dem großen Fußballgeschehen vermischt zu einem absolut lesenswerten und unterhaltsamen Buch.
Off topic noch ein Hinweis: Ich war in meiner Jugend mehrere Jahre lang Schiedsrichter unterwegs. Und mein Werdegang war ähnlich wie Christoph Schröders sportliche Vita – mit der Ausnahme, dass ich nie aktiv im Verein vor den Ball getreten und auch nie so erfolgreich gewesen bin. Ich musste an mehreren Stellen ob der Parallelen zu meinem Schiedsrichter-Leben schmunzeln und kann die Erfahrungen von Christoph Schröder durchweg bestätigen.
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