Der Mob marschiert, der Mob grassiert. Es sind derzeit schreckliche Bilder, die durch die Medien gehen.
Und es vergeht kein Tag, an dem es nicht neue, schreckliche Meldungen gibt. Sei es über neue Flüchtlinge, die im Mittelmeer um ihr Leben kämpfen oder sei es über Orte wie Freital, wo der rechte Mob meint, sich mit roher Gewalt Zutritt zu Flüchtlingsheimen zu verschaffen.
Mit jeder neuen Nachricht scheinen wir abzustumpfen. Wir nehmen die Informationen auf, halten höchstens kurz inne und machen weiter mit unserer Arbeit. Die Flüchtlingsheime sind weit weg, das Mittelmeer noch weiter entfernt. Was geht das mich an? Ich habe doch genug Probleme.
Wieso soll ich mich mit den Flüchtlingen beschäftigen? Warum soll ich mich über die Rechten aufregen? Ich kann doch ohnehin nichts ausrichten. So denken viele. Zu viele. Und dann sind da auch noch die nicht minder gefährlichen Hater und Trolle, die im Netz ihr Unwesen treiben und mehr oder weniger der Rechtschreibung mächtig ihre dummen Parolen an den virtuellen Pinnwänden hinterlassen.
Ich frage mich: was läuft schief bei diesen Menschen? Was läuft generell falsch in unserem Land?
Und während ich über diese Frage nachdenke, denke ich über mich nach. Und meine Vorfahren, die ebenfalls Flüchtlinge gewesen sind und nur mit der Unterstützung anderer Menschen einen Neuanfang in der Fremde starten konnten.
Flüchtlingsblut fließt durch meine Adern
Auch in meinen Adern fließt Flüchtlingsblut. Meine Großmutter ist 1945 von Schlesien in den Westen geflüchtet.
Auf der Flucht vor den Russen und auf dem Weg nach Recklinghausen ins Ruhrgebiet hat sie nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch das meines Onkels retten können. Für eine Schwester meines bis dato noch nicht geborenen Vaters (Jahrgang 1949) kam jede Hilfe zu spät: sie ist auf der Flucht ums Leben gekommen: verhungert, verdurstet, erfroren.
Die Flucht aus dem Osten ist nicht spurlos an meiner Omi vorbeigegangen. Sie hat nicht nur ihre Heimat, ihr Hab und Gut und ihr früheres Leben zurückgelassen, sondern wurde auch Opfer von körperlichen Misshandlungen. Das ist ein Part, über den sie so gut wie nie, auch nicht kurz vor ihrem Tod, gesprochen hat. Und nicht nur dieses Schicksal musste sie bewältigen.
Auf Hilfe von ihrem Mann konnte sie nicht zählen. Er kämpfte an der Front und kehrte nicht aus dem Krieg zurück.. Nach der Ankunft im Ruhrpott, der nach den Bombenangriffen der Alliierten mehr zerstört als unversehrt gewesen ist, war der Wiederaufbau mit den bloßen Händen und das Aufziehen des kleinen Sohnes angesagt. Arbeit, Arbeit und noch einmal Arbeit war an der Tagesordnung und hat für viele Wochen und Monate das Leben meiner Omi beschäftigt.
Was geht in manchen Menschen vor?
In den zurückliegenden Tagen musste ich mehrmals an meine Omi und ihre Flucht in den Westen denken. Was wäre aus ihr geworden, wenn ihr nicht die Flucht gelungen wäre? Was wäre aus ihr geworden, wenn sie nicht auf hilfsbereite Menschen gestoßen wäre, die ihr mit Nahrung und Kleidung und Unterschlupf geholfen hätte?
Ich frage mich, was in Menschen vorgeht, die Gewalt gegen Flüchtlinge ausüben, die verletzende und verunglimpfende Parolen schreien und Flüchtlingsheime stürmen wollen? Was ist bei diesen Menschen falsch gelaufen? Wie kann sich solch ein Hass wie ein Krebsgeschwür in unserer Gesellschaft ausbreiten?
Ich fasse es einfach nicht.
Helfen hilft.
Ich möchte hier nicht auf die politische Seite der Diskussion eingehen und gesellschaftskritische Texte wird es hier auch nicht von mir zu lesen geben. Das können andere viel besser und sollen es auch tun.
Dennoch möchte ich meinen Senf zu der Diskussion beitragen, wenn es auch nur ein kleines, ein persönliches Stück ist. Warum ich das alles schreibe? Weil es raus musste – und weil Paul Huizing von Einfach Lecker Essen mit Nico Lumma, Karla Paul und Stevan Paul eine Initiative gestartet hat, die sich #BloggerfuerFlüchtlinge nennt.
Es geht darum, dass Blogger klar Stellung beziehen und zu Spenden für die Flüchtlinge aufrufen. Wer helfen möchte: Unter diesem Link kann mit wenigen Klicks über Betterplace gespendet werden.
Erich Kästner weiß Rat
Bei Ben habe ich heute ein treffendes Zitat vom großen Erich Kästner gelesen, das selten treffender gewesen ist:
25. August 2015 um 23:33
Ich höre immer wieder die Geschichte meiner Großmutter, die mir von ihrer Flucht als Sudetendeutsche berichtet. Und ich denke mir auch mehr als einmal bei all diesen Leuten denen es nur ums eigene Leid geht, die nicht merken, das sie mit ihren Parolen nichts an ihrer eigenen Situation ändern werden: “Schau dich erst einmal selbst an, bevor du über andere urteilst.” Wenn die Energie anstatt für Demos, Kleinkriege und Co. für ein Miteinander aufgewendet werden würden – würden es alles besser machen! Danke für deinen Beitrag!
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