Der Zeiger der Uhr rückt bereits Richtung halb zwölf, als ich einen letzten Blick durch den Raum schweifen lasse.
Das dunkle Holz an den Wänden und der Decke, die unzähligen Pokale in den Vitrinen vom Schützenverein und die Fotografien von den stolzen Männern in den prunkvollen Uniformen hinter dem Glas in den Bilderrahmen erinnern an längst vergangene Zeiten und beinhalten oftmals Jahreszahlen, die mit einer 19 beginnen. Sie sind aus einer Zeit, die lange vorbei ist.
Ein letztes Mal schweift mein Blick entlang der Holztheke, wo aus dem Zapfhahn jahrelang kühles Pils und Altbier geflossen ist. Die letzten Gäste haben an diesem Abend bereits ihre Hocker am Tresen verlassen und liegen daheim in ihren Betten. Auch ich verabschiede mich mit meinen Stammtisch-Kumpels von Achim, dem Wirt der Kneipe. Womöglich bin ich das letzte Mal Gast im Schnaggebaas in Kleinenbroich gewesen. Denn das gutbürgerliche Lokal wird voraussichtlich am 30. September 2015 für immer seine Pforten schließen.
Das Kneipensterben ist nicht zu stoppen
Das Kneipensterben in Deutschland ist seit einigen Jahren Thema in der Presse. Die Gründe dafür sind vielfältig. Der demographische Wandel, das veränderte Freizeitverhalten, das Rauchverbot und gestiegene Preise in der Gastronomie sind nur vier von zahlreichen Aspekten, die das Sterben von der gemütlichen Kneipe um die Ecke zu erklären versuchen.
Im Schnaggebaas in Kleinenbroich ist es womöglich auch eine Mischung von vielen Aspekten. Und natürlich hat es auch finanzielle Gründe. Man munkelt, dass der Verpächter eine saftige Pachterhöhung von mehr als 60 Prozent verlangt hat. Das ist eine Summe, die ein vernünftig kalkulierender Wirt in diesen Zeiten nur schwerlich aufbringen kann.
Und so wird auch ein sozialer Treffpunkt in weniger als zwei Wochen dem Kneipensterben zum Opfer fallen. Eine Heimat für Menschen, die oftmals nur die Kneipe um die Ecke haben und dort – neben der Arbeit – ihren Lebensmittelpunkt aufgeben müssen. Während für meine Stammtischkumpels und mich “nur” ein lieb gewonnener Landgasthof wegfallen wird, ist es für andere Menschen eine Existenz, die zerstört wird.
Kleinenbroich nur noch eine Schlafstadt?
Überhaupt wandelt sich mein Heimatort immer mehr zu einer Schlafstadt. Ein Zentrum des Städtchens mit seinen mehr als elftausend Einwohnern ist aufgrund der in Ost-West-Richtung verlaufenden Bahnstrecke quasi nicht existent, sondern der Ort in zwei Ortschaften geteilt.
Auf den Kempen, dem sogenannten Geschäftszentrum, ist der Leerstand von Ladenlokalen seit Monaten und Jahren offensichtlich. Seitdem der Drogerist Schlecker pleite gegangen ist, steht das Ladenlokal genauso leer wie ein Großteil der Fläche des ehemaligen Supermarktes, in dessen Teilfläche jetzt zumindest ein Bäcker mit kleinem Café beheimatet ist.
Wer älter oder immobil ist, muss mehrere tausend Meter gehen oder fahren, um den Edeka, den Lidl oder den Aldi zu erreichen, damit die Einkäufe für den täglichen Bedarf gedeckt werden kann. Während im Westen von Kleinenbroich immer wieder neues Bauland erschlossen wird, ist das Angebot an Restaurants, Lokalen und anderen gastronomischen Betrieben eher unterdurchschnittlich.
Die Kneipe stirbt aus
Erst im Sommer hat das Traditionslokal Die Traube, eine der ältesten Restaurants Deutschland, für immer ihre Pforten geschlossen. Auch wenn dort die Gründe vielleicht anders gelegen haben, so fehlt dieses Lokal auch. Spätestens beim nächsten Schützenfest wird die brisante Situation schmerzen. Im Schnaggebaas haben bislang 17 Schützenzüge eine Heimat gefunden – und müssen sich künftig womöglich umorientieren.
Gleiches gilt für Vereine, Elternpflegschaften und Sportgruppen, die sich in großer Runde gern zu einem Plausch treffen möchten und immer seltener die passende Lokation in Kleinenbroich finden. Und so zieht sich das Dilemma immer mehr in die Breite. Familienfeiern wie Hochzeit, Taufe, Konfirmation und Kommunion wird künftig nicht mehr vor Ort gefeiert werden, sondern in Nachbarstädten stattfinden. Damit fließt Geld aus dem Heimatort zur Konkurrenz. Und aufwendiger ist es außerdem.
Unser Stammtisch wird bis auf weiteres auch diesen Weg gehen. Wenn das Schnaggebaas wirklich für immer schließen muss, ziehen wir Richtung Korschenbroich und werden in der Gaststätte Zur Waldesruh Oedinger regelmäßig Tuppen, essen und trinken.