Die Pubertät ist ein großer Einschnitt im Leben eines Jugendlichen. Doch nicht nur die Teens leiden unter dieser Phase, in der die Abnabelung vom Elternhaus einher geht mit ersten Erfahrungen mit Sex und Alkohol, Liebe und Partnerschaft und das Ausprobieren einen großen Stellenwert im Leben einnimmt.
Am Ende der Pubertät stehen die Zeichen auf Trennung. Das Kind – das lange zu einem jungen Heranwachsenden gereift ist – wird früher oder später das Haus verlassen und auf eigenen Füßen stehen. “Mein Kind wird erwachsen, und was werde ich?”, hat sich Silke Burmester gefragt, als sie diese schmerzvolle Phase mit ihrem Son Ben durchgemacht hat.
In Mutterblues lässt sie uns an dem Wechselbad der Gefühle teilhaben und beginnt die Erzählung mit der Zeit, als Ben 14 ist und die Bauarbeiten in dessen Gehirn in vollem Gange sind. Das Bild der Baustelle im Kopf ist übrigens perfekt gewählt, denn das Hirn ist im Umbauzustand, in dem an allen Ecken und Ende gearbeitet wird. Die verschiedenen Bereiche benötigen unterschiedlich lange zur Renovierung und dummerweise wird die Region, die für die Vernunft verantwortlich ist, erst als letztes fertiggestellt. Dann ist das Pubertier ungefähr 17 Jahre alt.
Es ist alles nur eine Phase
Mit diesem Wissen helfen sich Eltern über die schwierige Zeit mit den lieben Kleinen hinweg. “Es ist nur eine Phase, das geht vorbei!” und “Die Biochemie ist schuld!” sind zwei hilfreiche Mantras. Burmester schreibt über ihre Seelenpein aus der Sicht der Mutter eines Sohnes. Die Abnabelungsprozesse einer Tochter bleiben – mangels Existenz – genauso außen vor wie die Sicht des Vaters, dem aber ein eigenes Kapitel gewidmet ist.
Denn nicht nur die Mutter hat unter der sich immer weiter entwickelnden Selbständigkeit des Sprösslings zu leiden. Auch für die Väter ist die Pubertät des Kindes eine große Herausforderung. Apropos Vater und Mann: Zwischendurch wird das Buch für meinen Geschmack ein wenig zu feministisch, aber das mag auch meinem Geschlecht geschuldet sein.
Die Autorin holt im Kapitel “Abschied an allen Fronten” thematisch weit aus, um die Brücke zwischen dem Abschiedsschmerz mit dem Heranwachsenden und der Menopause und dem Klimakterium zu erklären. Und da gibt es auch die Eifersucht der Eltern auf das Kind: Vater und Mutter werden alt, der Sohn oder die Tochter sind in der Blüte des Lebens. Der Vater konkurriert mit dem Sohn, die Mutter imitiert die Tochter mit ihrer Kleidung. Es ist nicht einfach.
Kein fröhlicher Frauen-Roman
Auch wenn es die angenehme Art, über das Thema zu schreiben, vielleicht anders suggeriert: Mutter-Blues ist kein fröhlicher Frauen- oder Mutter-Roman über das flügge werden der eigenen Brut. Silke Burmester steckt den Finger in die verletzte Wunde und nennt Dinge beim Namen und beschönigt nichts. Sie ist traurig, frustriert und verzweifelt über das Erwachsenwerden des Sohnes. Und wütend, unleidlich und auch mal scheiße drauf. Und das ist gut so.
Schließlich reicht es nicht aus, den gefährlichen Cocktail aus juveniler Nestflucht und einsetzenden Wechseljahren mit Hormonen und Psychopharmaka zu bekämpfen. Es geht stattdessen darum, einen der größten Abschiedsprozesse des Lebens zu meistern und dabei nicht vor die Hunde zu gehen und sich in unendlicher Traurigkeit zu verlieren.
Symptomatisch und bezeichnend zugleich ist ein Song, der zur Gefühlslage wie die Faust aufs Auge passt: Der Song “Oft gefragt” von AnnenMayKantereit:
https://www.youtube.com/watch?v=TxZMfufRJfo
Trauerarbeit ist gefragt
Und der Mutterblues bedeutet auch: Emotionen zulassen, Raum und Zeit zur Trauer und zum Trauern generell lassen.
Silke Burmester hat diesbezüglich eine To Do-Liste aufgestellt:
1. Lassen Sie die Trauer zu!
2. Lassen Sie die Trauer zu!
3. Lassen Sie die Trauer zu!
Darüber hinaus ermuntert sie die verlassenen Mütter, wilde, ich-bezogene und sinnliche Dinge zu tun. Solche Dinge, die dem Seelenschmerz ein Gefühl der Lebendigkeit entgegensetzen. Ob das beispielsweise der junge Liebhaber sein muss, das ist Geschmackssache. Und im übrigen eine Idee der Autorin, die keine Freundin der Monogamie ist.
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